Prof. apl. Dr. Ferdinand Rohrhirsch | Impressum |
Verfolgt man die Medien, könnte man glauben, die Katastrophe steht unmittelbar bevor. Wir können ihr jedoch noch entrinnen, aber nur dann, wenn wir schnellstmöglich vielen Politikern und Unternehmensführern entsprechen und endlich, und gerade noch rechtzeitig, alle Schulen und Kindergärten mit den Neuen Informationstechnologien vollstopfen. Wenn dann noch die Lehrer "spuren" und ihre informationstechnologischen Hausaufgaben machen, dann sind wir gewappnet und gerüstet für die Aufgaben der Zukunft.
Wenn Unternehmen so argumentieren, die von der Hard- und Softwareproduktion leben, dann ist das in Ordnung. Denn ein Unternehmen will ja Geld verdienen. Bedenklich wird die Sache dann, wenn diese Werbestrategien von Menschen aufgenommen werden, die in der Politik Grundlagenentscheidungen treffen.
Mittlerweile werden die Informationstechnologien von den Neurowissenschaften abgelöst. Wieder wird die Frage nach der Bildung beantwortet mit Hilfe von Fachwissenschaften, die zwar begründet Ist-Zustände beschreiben und erklären können, aber sich bewußt sein sollten, dass Erziehung und Bildung mit "Sollens-Kategorien" arbeitet. Wer als Neurologe etwas zu Erziehung und Bildung sagt, kann (sollte) es nicht im Mäntelchen seiner fachwissenschaftlichen Autorität tun.
Gesten sollten sich Lehrer als Netzwerktechniker begreifen, heute sollen sie etwas vom Gehirn verstehen, und morgen? Trotz allem Wechsel: Dasselbe technische Modell bleibt in Hintergrund aktiv. Doch nach wie vor gilt es zu bedenken:
Habe ich schon etwas verstanden, wenn ich weiß, wie es funktioniert und abläuft? Oder vermag der Unterschied, der die Differenz von Erklären und Verstehen ausmacht nicht auch hier zu zeigen, - gerade wo es um Personen geht - dass es einen gehörigen Unterschied ausmacht, ob ich weiß, aus welchen Bestandteilen etwas zusammengesetzt ist und wie es funktioniert oder ob ich mich darum bemühe zu erfahren was etwas ist. Die "Was-Frage" ist die Wesensfrage. Und Martin Heidegger hat eindringlich gezeigt, dass die Frage nach dem Wesen des Menschen vollständig verfehlt wird, wenn sie mit einem "was" eröffnet wird. Nach dem Menschen ist mit einem "wer" zu fragen: "Wer ist der Mensch?" Der Unterschied zwischen "was" und "wer" ist nicht nur ein kleiner Unterschied, er ist eine Welt. Es ist der Unterschied zwischen dem Menschen in der Bestimmung als "biologischem Lebewesen" und dem Menschen als "Person". Es ist der Unterschied zwischen Wert und Würde.
Wer nicht mehr darüber nachdenkt, was die Schule eigentlich soll und worin der Gehalt des Wortes Bildung besteht, dem kann es passieren, dass er früher oder später die Frage nach der Bildung mit der Frage nach der Ausbildung verwechselt.
Der mehrmalig gehaltene Vortrag "Auf der Suche nach der Medienkompetenz. Bildung und Wissen im Zeitalter von Internet und Multimedia" versucht mit Hilfe philosophischer Reflexion über/und die/den eigenen Erfahrungen zu einer sachliche Beurteilung der Problematik vorzudringen. Als derzeitiges Ergebnis kann in Thesenform formuliert werden: Die modernen Informationstechnologien sind hervorragende Werkzeuge für ganz bestimmte Aufgaben. Aber "gebildet" werden ist etwas anderes. Das hat mit Menschen zu tun. Auf die Schule bezogen: Die Lehrer und nur die Lehrer sind die Garanten für eine zukunftsfähige Jugend (und damit auch für eine wettbewerbstaugliche Wirtschaft). Das jeweilig faktische Wissen verliert zunehmend an Bedeutung. Insofern wird sich der Beruf des Lehrers ändern. Nicht mehr das perfekte Wissen eines Mathematikers oder Deutschlehrers wird gefragt, sondern Lehrer, die vermitteln können wie Lernen gelernt werden kann; Lehrer, die vermitteln können wie man sich in neuen Situationen orientiert und woher man die geeigneten (die wirklich wichtigen, d.h. ethisch relevanten!) Informationen bekommt; Lehrer, die ins Vermögen gesetzt werden, sich als solche geben und präsentieren zu können, die ebenfalls noch auf dem Wege sind und die nicht schon lange da sind, wohin ihre Schüler niemals wollen. Was einen Pädagogen wesentlich ausmacht ist nicht sein Wissen, sondern seine Haltung.
Thesen des Vortrages:
Auf der Suche nach der Medienkompetenz.Bildung und Wissen im Zeitalter von Multimedia und Internet.
1. Vom begrenzt informierten zum umfassend informierten Menschen
- Moderne Informationstechnologien sind dafür notwendig.
- Humane Vermittlungskompetenzen spielen hierbei eine geringe bzw. keine Rolle.
Zur Erfüllung dieses Zieles haben alle Formen der neuen Informationstechnologien ihre Berechtigung und ihre nicht mehr revidierbare Notwendigkeit.
Lehrer als Informationsvermittler sind durch die Menge und ‘Halbwertszeit’ an Informationen überflüssig, allenfalls für die Erlangung der Bedienerkompetenzen bedingt nutzbar.
2. Vom informierten Menschen zum wissenden Menschen
- Moderne Informationstechnologien sind hier wirkungsvoll nutzbar.
- Didaktische und methodische Kompetenzen sind dafür notwendig. Im Mittelunkt steht die Ausbildung intellektueller Fähigkeiten.
Der Wissende unterscheidet sich vom Informierten dadurch, dass er Zusammehänge bilden kann (Fähigkeit zur Abstraktion, zur Verallgemeinerung, zur Synthese). Zur Erlangung dieser Fähigkeiten können die neuen Informationstechnologien wirksame Hilfestellungen bieten.
Mindestens gleichrangig sind dabei die didaktischen und methodischen Kompetenzen der Vermittlungssubjekte.
3. Vom wissenden Menschen zum gebildeten Menschen
- Neue Informationstechnologien sind hier belang- und wirkungslos.
- Personale Begegnung als das notwendige Element im Bildungsprozess.
Wissen ist nicht neutral, da es stets in lebensweltliche Bezüge verwoben ist. Weil bei der aktiven Gestaltung von Zukunft maßgeblich ethische Kriterien zum Tragen kommen (wie wir leben wollen) und instrumentell -intellektuelle Kompetenzen zur Beantwortung dieser Frage nichts beitragen können, hängt eine human gestaltete Zukunft des Menschen von seiner Bildung ab.
Der Prozess der Bildung ereignet sich (und ist nicht lehr- oder operationalisierbar) in der Begegnung mit anderen Personen.Die genannten drei Punkte sind in konkreten Lebens- und Lernsituationen nicht zu trennen. Die Differenzierung vermag jedoch deutlich zu machen, wo die Rede und der Einsatz von neuen Informationstechnologien sinnvoll und wirksam ist und, sie vermag auch zu zeigen, wo die Rede in Gerede umschlägt und ein prinzipiell sinnvolles Werkzeug als Ersatz für ausschließlich personenbezogene Bildungsprozesse mißbraucht wird.
Literaturhinweise:
Der Gelehrte verschwindet und der Forscher braucht keine Bücher mehr. Oder: Wer die Differenz zwischen Wissen und Bildung nicht mehr wahrnimmt, der hält auch Dieter Bohlen und Herbert Grönemeyer für Musiker, in: ASpB (Hg.), Bibliotheken und Informationseinrichtungen - Aufgaben, Strukturen, Ziele (29. Arbeits- und Fortbildungstagung der Arbeitsgemeinschaft der Spezialbibliotheken e.V., vom 08.-11. April 2003 in Stuttgart, Jülich 2003, S. 55-67, ISSN 0949-1406. Vortrag als PDF-Datei."Verstehen ist immer gestimmtes." Zur Spiritualität von Lehrenden und Lernenden im Kontext eines Studiums der Katholischen Theologie, in: Möde, E. (Hg.) Theologie der Spiritualität - Spiritualität der Theologie(n). Eine fächerübergreifende Grundlagenstudie, (Eichstätter Studien, 57), Regensburg: Pustet 2007, S. 169-183.